Donnerstag, 17. Mai 2007

Idioten

Tja, sowas passiert, wenn man einen Film beim online-DVD-Verleih eigentlich wegklicken will, dann aber aus Versehen auf "leihen" klickt, ohne es zu merken. Nun kam er auch tatsächlich mit der Post, und da habe ich ihn mir halt mal angesehen. Und es nicht bereut!

Hand hoch: Wer kennt "Dogma 95"? - Okay, kein Grund sich zu schämen; bis vorgestern hatte ich davon auch noch nichts gehört (Batz, Du kannst die Hand jetzt wieder runternehmen! Cali, Du auch!).
Also, erstmal etwas Bildung bei Wikipedia nachholen. - Ist ja mal ganz interessant, klingt mir aber doch etwas zu sehr nach dem Beuys'schen "Jeder Mensch ist ein Künstler!" umgewandelt in "Jeder Mensch ist ein Filmemacher!". Dabei gab's doch 1995 YouTube noch gar nicht, wo jeder Trottel sich für einen Filmschaffenden halten darf.
Soll nun nicht heißen, daß Lars von Trier keiner wäre. - Na, wieder ganz ehrlich: Außer dem Namen, einigen Titel und ein paar Ausschnitten aus "Dancer in the Dark" kannte ich bis dato eigentlich nichts von ihm; kann das also nicht beurteilen.

Der dänische Film "Idioterne" ist also nun ein Film mit dem Prädikat "Dogma 95". - Erstmal sehr gewöhnungsbedürftig, vor allem der dokumentarische Stil, der durch den gewollten "Realismus" den Zuschauer verwirrt.
Die Geschichte beginnt mit Karen, über die man die meiste Zeit des Films nicht viel weiß und deren Hintergründe man erst am Schluß erfährt. Sie ißt in einem noblen Restaurant, das sie sich eigentlich nicht leisten kann. Einige Tische weiter sitzen zwei geistig Behinderte mit ihrer Pflegerin. Die 'Idioten' fangen an, etwas auszuticken und belästigen die anderen Gäste. Jeder ist peinlich berührt und fühlt sich unwohl. Nur Karen ist fasziniert. Der Kellner bittet die Pflegerin, das Restaurant mit ihren Schützlingen zu verlassen. Einer der Behinderten hält Karen am Handgelenk fest, so daß sie notgedrungen mitkommen muß, was ihr aber nichts ausmacht.
Als sie letztlich im Taxi sitzen, stellt sich heraus, daß die beiden 'Idioten' gar nicht behindert sind. - Und so landet Karen bei einer Gruppe von (vorwiegend) Akademikern, die mehr oder weniger aus der Gesellschaft ausgestiegen sind und sich damit vergnügen (?), draußen und teilweise auch unter sich einfach die inneren Idioten heraus zu lassen und "auf gaga zu machen".

Wie gesagt: Gewöhnungsbedürftig. Und verwirrend. Ungutes Gefühl in der Magengegend. Die Frage: "Darf man das? Darf man sich über geistig Behinderte lustig machen?", aber dann wieder die Frage: "Machen die sich nun über die geistig Behinderten lustig oder nicht doch eher über die Gesellschaft, die Probleme mit den geistig Behinderten hat?" - Je länger man zusieht, umso klarer wird, daß es sich um letzteres handelt. Denn die Akteure (und man muß sich doch wieder bewußt werden, daß es Schauspieler sind, auch wenn sie sehr viel improvisiert haben) spielen nicht nur die Idioten, sie lassen tatsächlich ihre eigenen, inneren Idioten aus sich heraus. Und das wirkt anscheinend sehr befreiend.

Ich habe selten so mitgelitten, so mit gelacht, so geweint (!) bei einem Film. Und ich hatte große Lust, danach einfach mal ein bißchen "gaga" zu sein. Hab's bis jetzt noch nicht gewagt, sollte ich aber vielleicht mal? Sollte vielleicht jeder ab und zu mal?

Fazit: Sicher keine leichte Kost. Sicher bin ich auch froh, daß sich das nicht für die Kinos durchgesetzt hat. Wenn ich ins Kino gehe, will ich nicht unbedingt den von Dogma 95 angestrebten Realismus sehen, sondern mich eben für die zwei Stündchen gerade aus dieser realen Welt entführen lassen. Aber sehenswert ist dieser Film auf jeden Fall für den interessierten, aufgeschlossenen Zuschauer. Deshalb sieben grinsende Idioten:



P.S.: Auch wenn der eine oder andere nun vielleicht denkt "Jetzt übertreibt er's aber!" --- > Man sollte sich den Film im dänischen Original (mit Untertitel) ansehen! Nicht, daß ich Dänisch verstehen würde; und wahrscheinlich auch die wenigsten von Euch. Aber es gehört einfach zum Authentizismus dazu. Und auf der DVD natürlich auch die Extras anschauen, incl. "Die Gedemütigten" (= das "Making of..." sozusagen).

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